Liebe Hasen, hallo Hennen, werte Eier,
Ostern ist Mittelaltermarktzeit. „Die sind doch alle bescheuert!“ jammert Paul. Wir stehen am Bahnhof Gesundbrunnen und warten auf den Zug um 10.39 Uhr nach Chorin. Außer uns warten etwa fünfzig „Gewandete“: Männer in Schlüpfern und Mädchen in bodenlangen Staubfängern, die für einen Tag so tun wollen, als wäre die Erde eine Scheibe, die dann alle gemeinsam im Met- Rausch mal spielen dürfen. Mittelaltermärkte sind Ferienlager für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und solche, die es werden wollen. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe zehn Jahre lang als „Kassenjungfer“ gearbeitet. Das liegt bei uns in der Familie, mein Vater ist der Veranstalter. Ich freue mich auf diesen Tag im Dreck. Darauf, öffentlich rauchen zu dürfen, darauf, zu pinkeln ohne mir aufs Kleid zu machen, darauf, alle Darbietungen von Anfang bis Ende anzugucken. Ich werde die Kollegen bemitleiden ohne mitzuleiden zu müssen. Ich freue mich darauf, zu gehen, wenn das Wetter schlecht wird oder ich einfach keine Lust mehr hab.
Außer den Mittelalterfans beleben noch Fanatiker ganz anderer Couleur den Bahnhofsvorplatz. Blau/weiß nämlich. Hertha hat ein Auswärtsspiel in Hannover. Um halb elf stehen sich die beiden ungleichen Gruppierungen an Gleis acht und neun gegenüber, zeigen mit den Fingern über die Schienen auf die jeweils andere Seite und lachen sich gegenseitig aus: „Guck dir die Idioten an!“ Außer in den Kostümierungen liegt der einzige Unterschied zwischen den Wartenden darin, dass die auf Gleis acht jetzt schon Bier trinken, mehr Eintritt gezahlt haben und länger Zug fahren müssen. Alle sind froh, nicht zu den anderen zu gehören. Außer Paul: „Fahren wir nächstes Jahr auch zum Fußball?“