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Lea Schwarzwaldmädel

by Tobi
Von wegen große Stadt! Wir wohnen jetzt im Schwarzwald. Seit einem Monat schon.
Ich hab ein Stipendium bekommen für meinen zweiten Roman, nachdem ich mich mit diesem Anschreiben beworben hatte.
Hausach heißt das Städtchen. Eine richtige Kleinstadt. 6000 Einwohner, 3000 Arbeitsplätze. Das ist Süddeutschland, Freunde! Die haben Infrastruktur! Und Platz. Und Geld. Und Berge.
„Nicht diese lächerlichen Hügelchen, die ihr Berliner Berge nennt“, lästert Paul immer. Ihn und das Baby hab ich mitgenommen. Konnt ich ja nicht ahnen, dass sie mich wirklich einladen, als ich mich beworben hab. Haben sie aber. Und jetzt sind wir zu dritt.
„KreuzBERG, Prenzlauer BERG, SchöneBERG“, lästert Paul.
„Komm du mir nach Hause!“, sage ich.
Paul lebt seit zwanzig Jahren in Berlin, seit zehn mit mir zusammen, aber immer, wenn wir aus der Stadt rauskommen, besinnt er sich plötzlich ganz mächtig gewaltig auf seine norddeutsche Herkunft. Er kommt aus Flensburg. Was übrigens auch keine Burg hat.
Aber Hausach hat eine. Eine echte, original ruiniert im Dreißigjährigen Krieg, auf die gucken wir hoch, wenn wir aus unserer Stipendiatenwohnung aus dem Fenster gucken.
Ich hatte so Angst vorher, dass ich Asthma kriegen würde hier unten.
Nun sind wir einen Monat dort und ich wundere mich, dass mir noch keine dritte Lunge gewachsen ist, bei all der guten Luft, die ich atme.
Auch mein Heuschnupfen ist fast völlig weg.
Nur die Freundlichkeit der Menschen hier ist mir immer noch nicht ganz geheuer. Hier wird ja selbst auf dem Radweg gegrüßt. In Berlin kommunizieren Fahrradfahrer ausschließlich über Sturmklingeln und wüste Pöbelleien miteinander. „Hau ab, du Fotze!“, gilt bei uns als freundliche Begrüßung. Die Radfahrerin ist dem Radfahrer ein Wolf. Und dem Autofahrer ein Stinktier. Und Fußgänger, die sich auf den Radweg verirren, werden direkt überfahren. Ohne Vorwarnung. Sind sowieso meistens Touristen. Und wer kann die schon leiden!
Weitere Stadtschreiber-Kolumnen im Offenburger Tageblatt:
Ein kaltes Herz bei Hitze
Und so schreiben die Leute im Schwarzwald über mich:
Lea Streisand und das Leben im Schlaraffenland
Die neuen Leselenz-Stipendiaten

1 comment

Werner Simonsmeier 9. Oktober 2018 - 15:05

Als ich gestern bei radio1 Lea über ihren Aufenthalt im Schwarzwald hörte, hat mich das berührt, weil ich zwar seit über 50 Jahren in Westberlin bzw. Berlin bzw. jetzt in Brandenburg lebe, aber meine ersten 18 Lebensjahre im Schwarzwald wenige Kilometer von Hausach entfernt verbrachte und 8 Jahre davon in Hausach zur Schule ging. Insofern habe ich einen entfernt vergleichbaren, umgekehrten Kulturschock erlebt, wenn auch vor etlichen Jahrzehnten. Ich kann vieles gut nachvollziehen, was Lea schreibt: die Freundlichkeit der (meisten) Menschen, die gute Luft, sofern weitab vom Schwerkraftverkehr auf der B33, vor allem die Berge, die im Mittleren Schwarzwald eher bescheiden hoch sind. Klar ist das eine oder andere überspitzt formuliert – das ist ja das Amüsante an Leas Erzählungen. Manches ist dann aber doch sehr idealisiert, denn auch dort gibt es Landflucht, Überalterung, Absterben des Einzelhandels, Verkehrskollaps, kommunalen Geldmangel. Je weiter man sich von Offenburg entfernt, umso schwieriger wird es für junge Menschen, berufliche Perspektiven zu finden.
Übrigens: Der neue Film „Das kalte Herz“ von 2016 mit Henriette Confurius, Frederick Lau und Moritz Bleibtreu ist auch nicht schlecht; da werden Wolfach und Gutach, die beiden Nachbarorte von Hausach östlich und südlich, mehrfach explizit genannt.

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